DER SANDKASTEN
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Was haben der Sandkasten und der Stammtisch in der Vinothek gemeinsam? Auf den ersten Blick gar nichts. Den Sandkasten bevölkern gewöhnlich Kinder mit ihren Plastikspielsachen, den Stammtisch eine Clique von Freunden, die sich damit beschäftigen, zu Feierabend über Gott und die Welt zu plaudern. Doch wenn man es genau betrachtet, sind die Unterschiede gar nicht so bedeutend. Sehen Sie selbst.
Neulich war ich mit einem jungen Paar beschäftigt, das den schönen Entschluss gefasst hatte, den Bund fürs Leben zu schliessen. Da die Familie des jungen Mannes seit zwei Generationen eine treue Kundin des Hauses ist, wollten die beiden logischerweise der Familie und den geladenen Gästen eine Freude bereiten und Weine von Imesch servieren. Ich schlug ihnen den Fendant vor, ein vorzüglicher Aperitifwein, und erklärte ihnen, dass es sich um ein ideales Getränk für den Auftakt eines Festes handelt: frisch, fröhlich und vollmundig, bezaubert er die Gesellschaft. Die Kunden am Stammtisch, denen offenbar gerade die Gesprächsthemen ausgegangen waren, folgten interessiert meinen Ausführungen. Die meisten nickten zustimmend mit dem Kopf und formulierten irgendwelche beifällige Kommentare. Doch es gibt immer einen, der nicht gleicher Meinung ist wie seine Tischgenossen. Und so war es auch jetzt: „Wir haben im Wallis doch wunderbare Spezialitäten: die Petite Arvine, zum Beispiel, oder die Heida! Warum immer den Fendant wählen?“ Man macht den Unruhestifter darauf aufmerksam, dass nicht das die Frage ist und dass er im Übrigen von Tuten und Blasen keine Ahnung hat. Der zukünftige Bräutigam, der dem Fendant sichtlich skeptisch gegenübersteht, gibt aber plötzlich dem Störenfried recht und behauptet, dass dieser sich besser als alle anderen Tisch auszukennen scheint. Damit nimmt das Wortgefecht seinen Lauf, ein Wort jagt das andere und die Anwesenden beziehen Stellung. Der Stammtisch besteht nun aus zwei Lagern, die in offener Gegnerschaft zueinander stehen: einerseits die Verfechter von „historischen“ Walliser Rebsorten wie dem Fendant und dem Pinot Noir, andererseits die Fürsprecher der Spezialitäten wie der Petite Arvine, der Heida oder des Cornalin. Anfänglich sind die Argumente noch recht vernünftig, jeder mobilisiert sein gesamtes önologisches Fachwissen zugunsten des von ihm geschätzten Produkts. Doch schon bald erhitzen sich die Gemüter, die Emotionen nehmen Überhand und das rationale Denken setzt zusehends aus, die Lautstärke nimmt zu, und die Meinungen gehen noch weiter auseinander. Das freundschaftliche Wortgefecht, mit dem alles begonnen hat, verwandelt sich in einen kompromisslosen Stellungskrieg. Das zukünftige Brautpaar schaut dem Ganzen etwas amüsiert zu, während der Wortwechsel an Härte noch zulegt. Die Braut, die deutschen Ursprungs ist, entdeckt mit einer Mischung von Hingerissenheit und Sorge den Charakter ihrer neuen Mitbürger, die inzwischen drauf und dran sind, handgreiflich zu werden und ganz ohne Zweifel den anfänglichen Grund ihrer Meinungsverschiedenheiten komplett vergessen haben.
Habe ich es nicht gesagt, dass die Unterschiede zwischen dem Sandkasten und dem Stammtisch nicht besonders gross sind? Die streitenden Kinder treffen sich tags darauf wieder im selben Sandkasten, und auch wir haben uns wieder am selben Stammtisch eingefunden. Nicht nur, um gemeinsam auf das Wohl auf des Brautpaars anzustossen, sondern auch auf den Fendant und die Walliser Spezialitäten!